Ottokar von Kraft                  Das Unmögliche

 

Ich habe auch die Meinung stets vertreten,

Daß neben seinem Schaffen, Denken, Dichten

Der Künstler soll’ ein täglich Werk verrichten,

Ihm unerwünscht manchmal, stets unerbeten.

 

Ich weiß, im Grübeln, nie gestörten, steten,

Liegt für des Grübelns Frucht das Heil mit nichten;

Ich weiß, daß läßt’ge Stürme kleiner Pflichten

Stets heilsam in die Glut der Sehnsucht wehten.

 

Nur restlos aufgehn im gemeinen Wirken,

Das kann ich nicht, und fühl, mich drob nicht richtbar:

Denn mit mir selbst nur ist mein Drang vernichtbar.

 

Peitscht mich aus meines Denkens Lichtbezirken,

Ich werde Qualen, Martern, Tod ertragen,

Nur Eines nie: dem höhern Selbst entsagen!

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Im Krähwinkel

 

Wir sind nicht immer, was wir könnten sein,

Wir sind Geschöpfe äußrer Machtgewalten;

Es kann der Größte sich nicht groß erhalten,

Wirkt fort und fort nur Kleines auf ihn ein.

 

Was macht mir die Erkenntnis nicht für Pein,

Hier, wo ich mich vergebens möcht’ entfalten!

Ich will mich groß und muß mich klein gestalten,

Nur weil ringsher das Leben wurmhaft klein.

 

In Freiheit, in Theatern, großen Städten,

Wie wuchs ich auf, wie wußt’ ich aufzuleben,

Wie fielen ab des schnöden Alltags Ketten!

 

Und hier gelingt mir kaum das schlichte Streben,

Mein armes Ich im Werkeltag zu retten,

Geschweig’ auf Geistes reinen Höhn zu schweben!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Nochmals im Krähwinkel

 

Daheim bei meiner Lampe trautem Schimmer,

Wenn überm Buch ich hinsann lange Zeit,

Faßt mich der Drang nach Lebens Wirklichkeit,

Zu Menschen dann, - ins Wirtshaus eil’ ich immer.

 

Doch dort, am Tisch, in rauchig dumpfem Zimmer,

Umzwängt von Prosa, Seichtheit, Nüchternheit,

Greift mich nur stärker Qual der Einsamkeit,

Das ich gesucht, das Leben, dort ist’s nimmer!

 

Und wieder nach der Abendlampe Schein

Steht mir der Sinn, zum Buche zieht’s mich wieder,

Der unter Zehn ich zehnfach doch allein.

 

So, stets voll Unrast schwebend auf und nieder,

Sehn’ ich nach Haus mich aus dem schalen sein

Und sing’ daheim dem Leben Sehnsuchtslieder.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Was mich am meisten kränkt

 

Nicht, daß es mir verwehrt in stetem Zwange,

Die Jugend voll und würdig auszuleben,

Nicht, daß ich jahrlang muß mit Widerstreben

Entgegen schwimmen inn’rem höhern Hange,

 

Nicht, daß dem Freiheits- Lebens-, Liebesdrange

Statt weiten Felds ein Kerker ward gegeben,

Nicht dies zunächst, - nein, Eines macht mich beben

Zumeist und bleicht vor Gall’ und Gram die Wange:

 

Daß all der Druck, der Kampf mit Motten, lähmend

Auf meinem Schaffen wuchtet, hinter Gittern

Die Flugkraft meiner Seele Schwingen nehmend,

 

Mich an Gedichten zwingt mich zu zersplittern,

Vergiftend Zeit und Lust und Muß’ und Stärke,

Zu sammeln mich zu einem großen Werke.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Wenn von des Frons...

 

Wenn von des Frons nie endend hartem Zwange

Ich abends oft erschöpft nach Hause kehre,

Mich mit des Dichters Waffe dann bewehre,

Zu folgen eignes Herzens Zug’ und Drange;

 

Wenn, übermüdet, oft ich lang und lange

Umsonst nach Ausdruck meines Ichs begehre,

Wenn ich im Fron mit seiner Öd’ und Leere

Nur stets Hemmnis seh’ dem Dichtersange,

 

Und seh’ der Jugend schönste Jahr’ verstreichen

Und täglich um mein Bestes mich bestohlen

Und höchste Kräfte nutzlos mir verkümmern:

 

Dann naht Verzweiflung mir auf raschen Sohlen,

Und mich erfaßt ein Zustand ohne gleichen,

Wo ich den Blitz beschwör’, mich zu zertrümmern!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Gezeichnet

 

Ich muß ein Brandmal auf der Stirne tragen,

Ein Zeichen Kains, das jedem Kinde sichtbar,

Denn daß ich haltlos, daß ich aller Pflicht bar,

Als Dogma gilt’s, der Kleinste darf mir’s sagen.

 

Ich muß gezeichnet sein, denn nach mir schlagen

Darf jeder Ochs und niemand ist er richtbar,

Daß meine Art nur mit mir selbst vernichtbar,

Weiß keiner heut’, muß ich allein beklagen.

 

Und mag ich, was ich will auch, tun und lassen,

Ein Pflichtvergess’ner werd’ ich sein und bleiben

Stets denen, die mir fremd, doch meine Richter.

 

So muß geächtet ich durchs Leben treiben,

Verkannt von tauend, die mein Ich nicht fassen,

Und was ist meine Schuld?... Daß ich ein Dichter!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Größte Marter

 

Es flammt im Busen mir ein Freiheitsdrang,

Wie selten ihm ein fühlend Herz geschlagen,

Es schafft das kleinste Soll mir Mißbehagen,

Und jedes Müssen macht beinah’ mich krank.

 

Ein wahrer Kreuzgang ist mir jeder Gang,

Den bloß ich wandle, weil mir’s aufgetragen;

Ich möchte jeder Fessel mich entschlagen,

Zertrümmern wollt’ ich jeder Satzung Zwang.

 

So ist’s vielleicht ein Glück noch, daß die Liebe,

Nach der sich Seel’ und Leib mir fieb’risch drängen,

Mich selten nur beglückt im Weltgetriebe.

 

Sie würde nur in neues Joch mich zwängen,

Und Freiheit mißt’ ich nicht, selbst ihr zuliebe;

Nein, größte Marter ist mir: abzuhängen!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Ketten

 

Im Fron des Werktags alle Kraft zersplittern,

Sich restlos aus an Schalst’ und Kleinstes geben,

Betörter Wahn zur heil’gen Pflicht erheben,

In jedem Blödsinn Gottgebote wittern,

 

Vor niedrer Menschlein hohem Scheine zittern,

Nach ihrer Gnad’ als nach dem Höchsten streben,

ihr opfern Freiheit, Meinung, Würde, Leben,

Brav Dank noch winseln hinter Kerkergittern,

 

Nie zum Bewußtsein seines Ichs gelangen,

Das Leben schließen, wie man’s angefangen,

unkundig seines Werts, ins Grab sich betten:

 

Dies mag vielleicht dem Herdenpack behagen,

Das, frei, sich mit den Hörnern würde schlagen –

Für mich bedeutet’s Kerkernacht und Ketten!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Im Joch

 

Wann werd’ ich endlich diesen Kerker sprengen?

Wann werd’ ich endlich diese Ketten brechen?

Wann stumpfen diese Spitzen, die mich stechen?

Wann reißen diese Fesseln, die mich engen?

 

O könnt’ ich mich an diesen Motten rächen,

Die mit Gewalt mich aus mir selbst verdrängen!

O könnt’ ich sie mit heil’ger Glut versengen,

Die stündlich Geistesmord an mir verbrechen!

 

O tragisches Geschick, zu sein Maschine,

Ein Werkzeug nur, in fremde Hand gegeben,

Des Erst’ und Letztes: diene! diene! diene!

 

Maschine? Nein, die letzte, kleinste Schraube!

O schwerstes Los, verdammt zu sein zum Staube,

Wenn’s tobt im Innern: leben! leben! leben!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Die Uhr schlägt keinem Glücklichen

                                                                              Schiller: Die Piccolomini

 

Wenn ich, im Fron, auf Höfen, Wiesen, Gängen,

Vor mir die Uhr, an Bäumen, Wänden lehne,

Oft Drei erst finde, wenn schon Fünf ich wähne,

Da Stunden sich zu Ewigkeiten längen;

 

Wenn ich, ohnmächtig, selbst dies Joch zu sprengen,

Die rasch’re Flucht der schönsten Jahr’ ersehne,

„Ach, wär’ doch dies, und dies vorbei schon!“ gähne,

Dann wieder nach der Uhr den Kopf lass’ hängen:

 

Dann fällt mir stets das Wort ein, das beredter

Mein Leid mir predigt, als je könnten Klagen:

Kein Glücklicher hört auf der Stunden Schlagen!

 

Die Uhr wird meines Unglücks Barometer,

Sie zeigt, je öfter ich an sie mich kehre,

Mir desto klarer meines Loses Schwere.

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Macht was ihr wollt!

 

Macht, was ihr wollt, ihr bringt mich nicht zu Falle!

Ihr bleibt doch immer ihr und ich – bin immer ich!

Haut aus mit euren Hörnern wider mich,

Noch bin ich ja Gefang’ner euch im Stalle!

 

Den Stall doch schafft ihr nie zum Erdenballe,

Hier gibt’s noch Trost für euern Hieb und Stich;

Und bricht mein Geist erst draußen Bahnen sich,

Was sind mir dann – selbst eure Preise alle!

 

Drum zu, nur zu, verwünschtes Flohgeschlecht,

Versuch’s, zu Gnomen-Art mit umzuschaffen,

Mir sei die Prob’ als Prüfung grade recht!

 

Nie, nie, das schwör’ ich, werd’ ich je dir Knecht!

Erlahmen soll’n an mir des Alltags waffen,

Und sprechen soll die Welt einst: Der war echt!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Des Dichters Rache

                                                                              Anfang Juni 1903

 

O glaub nur nicht, ohn’ Waffen sei der Dichter,

Jedweder Motte machtlos preisgegeben;

Es ist das Wort sein gutes Schwert im Leben,

Mit ihm ist er des Gnomenpacks Vernichter.

 

Zwar fehlt wohl dir ein Nürnberger Trichter,

Daß du begriffes: mich betrifft es eben;

Doch liest’s vielleicht ein guter Freund daneben,

Der sagt’s dur schon, daß du von dem Gelichter.

 

Laß dann dein Gift auf mich herniederhageln!

Zerstampfst als Vieh du meines Geistes Anger,

Ich stell’ dafür dein Schandbild an den Pranger.

 

Mich soll es freun, zum Spott und Warnexempel

Für spät’ste Zeit, an meiner Zukunft Tempel

Wie eine Fledermaus dich festzunageln!

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Bannstrahl

                                                                              Anfang Juni 1903

 

Du bist durchschaut: Du jubelst, wenn ich leide!

Du sähst am liebsten mich auf glühn’den Kohlen!

Du hast mir Monde Freiheit schon gestohlen,

Denn meine Knechtschaft ist dir Augenweide.

 

O giftgeschwoll’ne Kröt’ voll Haß und Neide,

Hör’ meinen Richtspruch frank und unverhohlen:

Hast du die Macht gleich, trät’ ich dich mit Sohlen,

Wenn nach dem Werte man uns wöge beide!

 

Doch diesen Bannfluch schleudr’ ich dir entgegen,

Und mög’ er treffen dich um meinetwegen,

Wie des Verworf’nen Haupt des Teufels Segen:

 

Wann einst mein Name glänzt ob den Zypressen,

Soll’n deinen schnöden Staub die Würmer fressen,

Samt Hirn und Herzen – die du nie besessen!

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Die Steinigung

 

Jüngst hatt’ ich einen Traum: Ich ward gesteinigt.

Von allen Seiten stürten sie gleich Hunden,

Und geder warf und warf, mich zu verwunden,

Als ob mein Schmerz die Welt vom Fluch gereinigt.

 

Wie ich so stand, verlacht, verhöhnt, gepeinigt,

In Martern, wie ich keine noch empfunfen,

Wandt’ ich mich um – da war das Bild verschwunden,

Ich sah ein Volk zu selt’nem Tun vereinigt.

 

In Festgewändern noch verhüllter Zeiten

Hob’s auf die blut’gen Stein’ mit heil’gem Grauen

Und fing ein – Denkmal an daraus zu bauen.

 

Da wacht’ ich auf, hub an, den Traum zu deuten,

In meine Seele kam die alte Stärke,

Und neu gerüstet setzt’ ich mich zum Werke.